Für die eigenen Ideen und Ideale kämpfen – das hat Yasemin Kesti getan. Dabei hat die Bielefelderin couragiert ihren Weg verfolgt und so manchem Widerstand getrotzt. Ein Ziel hat die Gründerin dabei nie aus den Augen verloren – etwas Sinnstiftendes zu tun. Ihre Gründungsidee: Arbeitgeber und Nachwuchskräfte aus der Region frühzeitig zusammenzubringen; mittels der im Schulunterricht genutzten Recruiting-Plattform JoBooking.
von Silke Goller
Hinter dem Start-up aus Bielefeld, das im Dezember 2023 von Yasemin Kesti und Henoch Derar gegründet wurde, verbirgt sich ein Lernmanagementsystem für die schulische Berufsorientierung. Zur Verfügung stehen verschiedene Tools, mit deren Hilfe Schülerinnen und Schüler, Unternehmen, Lehrende sowie externe Berufsberater miteinander in Kontakt kommen und arbeiten.
Die 39-Jährige erklärt das dahinterstehende System: „Unser Recruiting-Portal JoBooking bietet von der Erstellung von Bewerbungen bis hin zum Buchen von Schülerpraktika eine niederschwellige Berufsorientierung, die junge Menschen in ihre Berufung bringen soll. Gemeinsam mit ihrem Mitgründer Henoch Derar, als COO zuständig für die Schulkooperationen, hat die Bielefelderin eine digitale Plattform entwickelt, die das gesamte Recruiting dort anbietet, wo potenzielle Fachkräfte generiert werden können – direkt in den Schulen.
Sich einander sichtbar machen
Kesti, die bei JoBooking als CEO fungiert: „Was wir brauchen sind Auszubildende. Und dafür schaffen wir einen Ort, wo junge Menschen während der Schulzeit auf ihren Arbeitgeber von Morgen treffen. Wir bringen Unternehmen sowie Schülerinnen und Schüler gekonnt über den Schulunterricht zusammen.
Unsere Devise: Eine gute Berufsorientierung für junge Menschen, Kennenlernen im wahren Leben und adäquate Besetzung von Ausbildungsstellen.“ Denn die Situation auf dem Arbeitsmarkt sei folgende, weiß Kesti aus zahlreichen Gesprächen: „Während Unternehmen jährlich händeringend auf diversen Plattformen nach Auszubildenden suchen, sitzen zeitgleich Schülerinnen und Schüler oftmals noch völlig unentschieden im Unterricht.
Die Schulen sind dazu verpflichtet die jungen Menschen bei ihrer Berufsorientierung zu unterstützen. So wird beispielsweise über Berufe informiert, es werden Bewerbungen geschrieben und Praktika absolviert. JoBooking ist gemeinsam mit Experten für genau diesen Einsatz im Unterricht entwickelt worden. Mit unserem Lernmanagementsystem verknüpfen wir die Bemühungen der Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu finden mit der Suche der Arbeitgeber nach geeigneten Kandidaten über den Schulunterricht.“
Kesti hat ihr Unternehmer-Gen schon früh erkannt
All das, was sich nun als unkompliziertes und sinnvolles Lernmanagementsystem liest, hat eine längere Vorgeschichte. Geht man einen Schritt zurück, zeigt sich, wieviel Herzblut und Enthusiasmus hinter der Gründungsidee steckt. Yasemin Kesti, die an der Universität in Bielefeld Wirtschaftswissenschaften studiert hat, ist ein Mensch, der viele Dinge hinterfragt. Auch sich selbst.
Schon während des Studiums habe sie freiberuflich als Projektleiterin bei Messen gejobbt und sei viel innerhalb Deutschlands gereist. „Eigentlich habe ich bereits als Kind mein Unternehmer-Gen entdeckt. So habe ich beispielsweise Selbstgebasteltes auf Flohmärkten und Weihnachtsbasaren verkauft, um mein Taschengeld aufzubessern und diverse Geschäftsideen skizziert. Ich hatte nie Angst davor, Dinge selbst in die Hand zu nehmen und umzusetzen“, reflektiert die Mutter zweier Kinder im Alter von sieben und acht Jahren.
Auf der Suche nach Sinnhaftigkeit
Man könnte Kesti als Suchende bezeichnen, die manchen Umweg gegangen ist, um an ihr Ziel zu kommen: „Ich liebe die Arbeit an sinnvollen Projekten, in denen ich autark wirken kann“, beschreibt sie ihre Motivation, den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen. Mit einem Augenzwinkern erzählt sie, dass sie in ihrer Jugend eine Phase hatte, wo sie sich lieber anderen Dingen gewidmet habe, als regelmäßig die Schulbank zu drücken. Beispielsweise Petitionen für Amnesty International zu verfassen oder Spendenaktionen zu organisieren.
Die Wende sei durch ein Gespräch mit einer Lehrerin gekommen: „Yasemin, du reichst den Menschen gerade nur einen Fisch. Wäre es nicht besser, wenn du ihnen eine Angel geben könntest?“, habe diese sie gefragt. Dieser Moment sei maßgeblich für ihre Entscheidung gewesen, Wirtschaftswissenschaften zu studieren, erzählt Kesti.
Gegen Ende ihres Studiums geriet sie jedoch erneut in eine Sinnkrise. „Typisch für die Geisteswissenschaften ist es, dass es verschiedene Ansichten gibt. Man streitet darüber, welcher der richtige Weg ist, denn die Wirtschaft ist schließlich ein von Menschen geschaffenes System. Wie man den Menschen also die ‚Angel‘ reicht, konnten mir auch die Experten nicht eindeutig sagen. Das hat mich zunächst sehr frustriert“, erklärt die Unternehmerin. Und erkannte, dass genau hier eine große Chance liegt: „Wir müssen uns nicht wie die Biologen oder die Physiker den ‚Naturgesetzen‘ unterwerfen, sondern können selbst die Regeln und Strukturen bestimmen, in denen wir arbeiten und wirtschaften. Mir wurde plötzlich klar, wie viele Möglichkeiten ich als Unternehmerin habe, Prozesse nach meinen eigenen Werten zu gestalten. Aus meiner heutigen Sicht gibt es keinen besseren Weg, um meinen Beitrag zu einer besseren Gesellschaft zu leisten, als durch unternehmerisches Handeln.“
Niederschwelliges Angebot
Kesti findet es spannend, wenn neue Märkte entstehen. Die Digitalisierung im Recruiting habe sie schließlich auf ihre Gründungsidee gebracht: „Viele Unternehmen tun sich schwer damit, ihren Nachwuchs zu erreichen. Mir war klar, dass ich ein niederschwelliges Angebot schaffen möchte, das von allen Beteiligten gleichermaßen genutzt wird. Zunächst habe ich neben meiner Halbtagsstelle als Leiterin im Marketing und Vertrieb an meiner Idee gearbeitet. Mir ist schnell klargeworden, dass dieses Projekt ein full commitment braucht und keine One-Woman-Show ist. Auch für die technische Umsetzung brauchte ich Support. Jetzt ist unser Start-up Teamarbeit in Vollzeit. Ausschlaggebend sind die Menschen, die um einen herum sind“, beschreibt sie ihren Findungsprozess.
Privat geriet Yasemin Kesti in eine aufreibende und kräftezehrende Phase. Zum einen habe sie kurz hintereinander zwei Kinder bekommen, hinzu seien weitere „Baustellen“ gekommen. „Es war eine schwere Zeit, dann kam Corona und damit der Lockdown. Mein Gründungsprojekt geriet ins Stocken, ich konnte keine Gespräche mehr mit meiner Zielgruppe in den Schulen führen.“
Aufgeben sei jedoch nie eine Option für sie gewesen, betont die taffe Unternehmerin. Den Durchbruch habe dann der Kontakt zum Gründungszentrum der Hochschule Bielefeld gebracht. „Auf diesem Weg habe ich meinen heutigen Mitgründer kennengelernt. Ein ‘perfect‘ match seit drei Jahren“, freut sich Kesti über diese besondere Fügung. Jeder bringe seine eigenen Stärken ein: „Es fühlt sich gut an, dass wir unser Produkt – sollte es an einer Stelle nicht funktionieren – selbst in jede Richtung ändern können. Wir sind Teil der Entwicklung eines Produktes, das viele Menschen nutzen. Für mich ist das pure Sinnhaftigkeit.“
Ein Businessplan hilft
Inzwischen sitzen die Macher von JoBooking in der Founders Foundation, wo sie eigene Räume angemietet haben. „Es ist ein toller Ort hier, um zu wachsen. Für unser Start-up haben wir bereits zuvor zwei Gründungsstipendium erhalten. Diese Förderungen bieten einem ein sicheres Einkommen, um die Zeit von der Entwicklung des Produktes bis hin zum Markteintritt zu überbrücken.
Auch sollte man die Gründungsberatungen in der Region in Anspruch nehmen. Die Erstellung von Förderanträgen oder eines Businessplans sei zwar aufwendig, aber alternativlos: „Würde ich heute erneut gründen, würde ich sicherlich einige Aufgaben von Anfang an delegieren; nicht aber die Erstellung meines Businessplans. Durch die detaillierte Auseinandersetzung mit deinem Projekt gibt er dir die Möglichkeit, alles zu durchleuchten und Risiken aufzudecken.
Ich mache häufig die Erfahrung, dass Gründende sich viel zu sehr mit ihrer Vision beschäftigen als sich im gleichen Maße auf die wirtschaftliche Umsetzung zu konzentrieren. Ohne einen betriebswirtschaftlichen Plan ist keine Vision dieser Welt umsetzbar“, ist Kesti fest überzeugt.
Yasemin Kesti rät: Gründungsidee teilen
Tipps für potenzielle Gründerinnen hat Kesti gleich mehrere: „Teilt eure Ideen und posaunt sie in die Welt. Nicht die Idee ist der Diamant, sondern die Umsetzung. Man verbaut sich viel, wenn man diese nicht teilt, da andere Menschen nicht nur relevante Informationen liefern können, sondern die Sichtweise des Marktes widerspiegeln. Zudem sollte man sich in Bezug auf eine Gründung nie fragen ob man es ‚kann‘, sondern ob man es wirklich will.“ Denn für Dinge, die man selbst nicht beherrsche, könne man Experten hinzuziehen und fehlende Kompetenzen erlernen.
Zudem sei Durchhaltevermögen und der Kontakt mit Gleichgesinnten wichtig: „Ein gutes Netzwerk ist das A und O. Jede Gründerin sollte es bewusst aufbauen, um Sparrings-Partner zu haben. Ich weiß inzwischen genau, wen ich bei welchen Fragestellungen fragen kann“, betont Kesti, die hier noch viel Potenzial in Ostwestfalen sieht. Auch Männer sollte man mit ins Boot holen, rät die Gründerin: „Ich finde reine Frauennetzwerke gut, um mal im geschützten Raum zu sprechen. Es geht aber nicht nur ums Geschlecht, sondern auch um die Frage, wer mein Netzwerk bereichert uns welches ich bereichern kann.“
Chancengleichheit schaffen
Die Gründerin freut sich, dass ihre Idee so gut angenommen wird und sie damit eine Schnittschnelle gefunden hat, dem Fachkräftemangel zu begegnen: „Wir brauchen Systeme, die alle nutzen. Mir und meinem Team geht es auch darum, Chancengleichheit für die Schülerinnen und Schüler zu schaffen, für die unsere Plattform übrigens kostenfrei ist.“
Es sei nun mal so, dass junge Leute anders reagierten, daher müsse man sich in die jeweilige Zielgruppe hineinversetzen. Auch hätten nicht alle Jugendlichen denselben familiären Support, der in dieser Lebensphase nötig sei. „Daher glaube ich fest an die Idee, dass wir durch unser Lernmanagementsystem eine Ader bei allen treffen.“
Es gehe aber um Chancengleichheit in der Wirtschaft, denn auch kleine und mittlere Unternehmen müssten häufig mit einem oftmals viel kleineren Budget mit den großen Firmen konkurrieren und hätten im Kampf um den Nachwuchs daher oft das Nachsehen: „Unternehmen, die mit Schulen kooperieren sind viel erfolgreicher in der Akquise von Nachwuchskräften. Das werden wir jetzt allen Arbeitgebern ermöglichen“, ist Yasemin Kesti von ihrer Idee überzeugt.
Foto: WEGE/Susanne Freitag
Weitere mutige Gründerinnen im Porträt:
Regina Horn – die Verwandlungskünstlerin
Sarah Lübbers – die magische Buchhändlerin
Nadine Dyck – die Wissensvermittlerin
Kathrin Zuther – die Essensverbesserin
Lilia Kaiser & Valentina Fuge – die herzlichen Gastgeberinnen
Marina Bohn – die Saucenzauberin
Emel Tumay – die mit den Traumkleidern
Nathalie Emas coacht Superheldinnen
Lisa Urbaneck – die Interaktive