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IHK-Umweltforum: Sensibilisieren für den notwendigen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit – und deren Herausforderungen - Ulrich Tepper, stellvertretender IHK-Geschäftsführer und IHK-Umweltexperte, Petra Pigerl-Radtke, IHK-Hauptgeschäftsführerin, Thomas Michels und Thomas Begemann, beide BENTELER Steel/Tube, und Jörn Wahl-Schwentker, IHK-Präsident (von links).

Umweltforum 2023: Auf der Suche nach mehr grünem Strom

Umweltforum 2023: Es ist ein aktuelles Schwerpunktthema und ein Megatrend unserer Zeit: Es geht um die Transformation, die konkrete Veränderung des bisherigen Wirtschaftens hin zu mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit. „Die Gestaltung dieses Transformationsprozesses, in dem sich die gesamte Wirtschaft befindet, ist angesichts der weiteren enormen Herausforderungen – Ukraine-Krieg, Energiekrise, Fachkräftemangel, Störung der Lieferketten, digitale Transformation – ambitioniert“, betonte IHK-Präsident Jörn Wahl-Schwentker in seiner Begrüßung vor rund 60 Teilnehmenden des IHK-Umweltforums in der IHK in Bielefeld.

von Heiko Stoll

IHK-Umweltforum 2023 beleuchtete die Transformation der Wirtschaft hin zu mehr Klimaschutz

Über die Energieversorgung der Zukunft müssten sich grundlegend neue Gedanken gemacht werden. Die Zeit der Versorgung mit verhältnismäßig preiswertem russischen Pipeline-Gas sei vorbei, hinzu kämen notwendige Klimaschutzanforderungen. Beides werfe ein neues Licht auf die Versorgungssicherheit, so der IHK-Präsident. Es herrsche Konsens darüber, dass sich Deutschland schrittweise vom Einsatz fossiler Energieträger entferne. „Das bedeutet, wir brauchen sehr viel mehr Strom – und zwar grünen Strom –, auch für die Industrie und die Breite der Wirtschaft. Dafür muss der Ausbau der erneuerbaren Energien massiv beschleunigt werden“, so Wahl-Schwentker.

Die Unternehmen erlebten die Energiefrage nicht nur als eine vorübergehende Belastung, sondern als mittel- und langfristige Benachteiligung im internationalen Wettbewerb. Sie wird damit für viele zu einem der entscheidenden Argumente, ob ihr Unternehmen in Deutschland bleibe oder nicht. Das kürzlich veröffentlichte bundesweite IHK-Energiewende-Barometer verdeutlicht die Verunsicherung in der Wirtschaft, denn die Betriebe bewerten den Standort Deutschland immer kritischer.

Energiewende wirke sich negativ auf Geschäfte aus

Für 52 Prozent der Unternehmen wirke sich die Energiewende sehr negativ oder negativ auf das eigene Geschäft aus, lediglich 13 Prozent bewerten sie sehr positiv oder positiv. Dabei handle es sich um die schlechtesten Werte seit 2014 – seitdem erheben die IHKs diese Zahlen.

Ein zweites wichtiges Thema beim Umweltforum war die Versorgungssicherheit. Dabei sei der geplante Wandel des Energiemix von fossilen zu erneuerbaren Energien in den kommenden sieben Jahren bis 2030 eine Herkulesaufgabe. „Wir machen uns auf NRW-Ebene sehr große Sorgen, wie der vorgezogene Kohleausstieg überhaupt funktionieren soll“, fasst der IHK-Präsident die Stimmung der Unternehmen zusammen.

Die 16 nordrhein-westfälischen Industrie- und Handelskammern haben deshalb das Energiewirtschaftliche Institut der Universität Köln damit beauftragt, die Bedingungen für den Kohleausstieg zu untersuchen. Dabei ist herausgekommen, dass bis zum Ausstiegsjahr 2030 bis zu acht neue Gaskraftwerke gebaut werden müssen, die zudem auch noch wasserstofffähig sein müssen, um die Klimaschutzanforderungen zu erfüllen.

Nur so könnte in mehrtägige „Dunkelflauten“ die Stromversorgung sichergestellt werden. „Wenn das nicht gelingt, können wir bis dahin nicht aus der Kohle aussteigen, ohne unsere Versorgungssicherheit zu gefährden“, mahnt Wahl-Schwentker.

Komplettes Interview bald zum Nachlesen

Welche Schritte auf dem Weg zu mehr Klimaneutralität ein Traditionsunternehmen unternimmt, haben Thomas Michels, Geschäftsführer, und Thomas Begemann, Director & Head of Strategy and Sustainability, von der BENTELER Steel/Tube GmbH aus Paderborn erläutert – das komplette Interview lesen Sie in der November-Ausgabe unseres IHK-Magazins. „Ostwestfälische Wirtschaft“.

 

Interview: „Man braucht einen langen Atem“

INTERVIEW Thomas Begemann ist „Director & Head of Strategy and Sustainability“ bei der BENTELER Steel/Tube GmbH in Paderborn. Er erläutert, wie sich ein klassischer Industriebetrieb auf den Weg zur Klimaneutralität macht.

Herr Begemann, mit BENTELER Steel/Tube macht sich ein Unternehmen auf den Weg zur Klimaneutralität, das mit seinen Werken in Paderborn und Schloss Neuhaus momentan rund zehn Prozent des gesamten Erdgasverbrauchs im Kreis Paderborn ausmacht. Wie wollen Sie die Produktion nachhaltig gestalten?

Um unsere Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, haben wir bereits 2020 das Programm „Grüne Rohre“ initiiert, das sich mit der Reduktion des CO2-Fußabdrucks in der Rohrherstellung befasst und aus acht Unterprojekten besteht. Speziell das Projekt „Grüne Produktion“ dient zur Reduktion von prozessbedingten, direkten Emissionen.

Dafür wollen wir künftig auf Elektrifizierung der Anlagen oder grünen Wasserstoff als Energieträger für die Prozesswärme bei der Herstellung von Stahl und dessen Verarbeitung zu Rohren setzen. Durch den vermehrten Einsatz von Ökostrom werden wir auch unsere indirekten Emissionen kontinuierlich senken. Unser Ziel: keine direkten und indirekten Emissionen in der Produktion bis 2030.

 

Der Kreis Paderborn ist Windenergieanlagen-Hochburg in Nordrhein-Westfalen. Eigentlich doch gute Voraussetzungen für den standortnahen Umstieg zu grünem Strom und grüner Wasserstoff-Produktion. Oder?

Das ist grundsätzlich richtig. Südlich von Paderborn, auf der so genannten Paderborner Hochfläche, gibt es große Windparks, die enorme Mengen Ökostrom produzieren. Richtig ist aber auch, dass der Abtransport über die Stromnetze nicht immer funktioniert, da die notwendigen 380KV Leitungen fehlen.

Das bedeutet, dass die Windkraftanlagen immer häufiger ausgeschaltet werden müssen und somit der notwendige Ökostrom nicht zur Verfügung steht. Als Industrieunternehmen produzieren wir jedoch Tag und Nacht. Eine Versorgungssicherheit ist für uns existenziell wichtig.

Sie sind mit Ihren Produkten unter anderem Lieferant für die Automobilindustrie, die bis spätestens 2045 ihre Produktion auch im sogenannten Scope 3, also entlang der gesamten Wertschöpfungskette, zu 100 Prozent CO2-neutral stellen will. Wie stark sind Ihre Reduktionsbemühungen auch durch Ihre Kunden motiviert?

Selbstverständlich sind uns die gestiegenen ökologischen Anforderungen bewusst und mehr noch: wir bedienen bereits das gestiegene ökologische Interesse unserer Kunden und bieten schon heute Produkte für nachhaltige Anwendungen, beispielsweise Rohre für Solarkraftwerke, Rotorwellen sowie Rohre mit umweltfreundlichen Beschichtungen

Aber wir wollen noch mehr tun und haben deshalb unsere neue Produktmarke CliMore für alle CO2-reduzierte Stähle und Stahlrohrprodukte eingeführt. Damit erhalten unsere Kunden volle Transparenz über ihre vorgelagerten Emissionen aus dem Zukauf von Stählen und Stahlrohrprodukten und wissen ganz genau, wie wir produzieren, welche Energieträger wir dafür nutzen und wie hoch der „CO2-Rucksack“ unserer Produkte ist.

 

Beim IHK-Umweltforum wurde deutlich, dass das Thema „green steel“ insbesondere in Deutschland und Europa hoch gehandelt wird, Sie prognostizieren einen Nachfrageüberhang bis zum Jahr 2030. Wie sieht die Nachfrage außerhalb Europas aus, auch angesichts stark unterschiedlicher Energiepreise?

Die Transformation der europäischen Stahlindustrie zu einem Anbieter von CO2-neutralem Stahl wird noch viele Jahre dauern. Der erste Transformationsschritt wird von der konventionellen Hochofenroute über die Nutzung von Direktreduktionsanlagen mit Erdgas als Energieträger erfolgen. Anschließend ist dann die schrittweise Substitution von Erdgas durch grünen Wasserstoff geplant.

Wenn wir uns zum Beispiel die Nachhaltigkeitsziele der Automobilindustrie und den Zeitrahmen zur Umsetzung anschauen, ist davon auszugehen, dass es zu einen temporären Nachfrageüberhang an CO2-reduziertem Stahl kommen wird. Das liegt daran, dass der Umbau der Infrastruktur der Industrie, also beispielsweise der Hochöfen, länger dauern wird als die gesteckten Nachhaltigkeitsziele. Es wird also ein Verfügbarkeitsproblem da sein.

Europa stellt für uns derzeit noch den Schwerpunkt für unsere CO2-reduzierten Produkte dar. Aber wir verzeichnen auch ein steigendes Interesse unserer nordamerikanischen Kunden. Auch China hat sich das Ziel gesetzt, bis 2060 CO2-neutral zu sein. Daher gehen wir davon aus, dass auch hier langfristig die Nachfrage nach grünen Produkten steigen wird.

Planungssicherheit war einer der zentralen Wünsche aus Sicht der Wirtschaft an die Politik beim IHK-Umweltforum. Wie optimistisch sind Sie, dass die Dekarbonisierungs- und Wasserstoffstrategie auch nach der nächsten Bundestagswahl noch fortgesetzt wird?

Für eine erfolgreiche Transformation wird die Industrie auch in den kommenden Jahren auf Unterstützung aus der Politik sowie durch die Energieversorger angewiesen sein. Dafür ist eine ausreichende Versorgung mit Strom aus regenerativen Energiequellen zu wettbewerbsfähigen Preisen absolut erfolgskritisch.

Der Bedarf an grünem Strom wird in der gesamten Industrie massiv steigen. Das beinhaltet auch die erforderliche Infrastruktur – für grünen Strom genauso wie für grünen Wasserstoff. Aktuell existiert weder ein flächendeckendes Transportnetz für Wasserstoff, noch ist bereits absehbar, welche Regionen künftig an ein solches Pipeline-Netz angeschlossen werden.

 

Was raten Sie anderen produzierenden Unternehmen, die sich dem Thema Klimaneutralität ebenfalls stellen müssen. Womit sollten sie anfangen?

Es ist wichtig, solch ein umfassendes Projekt strukturiert und mit einem hochmotivierten, qualifizierten Team anzugehen. Am Anfang steht erst einmal die Datenerfassung. Man sollte sich zunächst einen Überblick verschaffen, in welcher Tiefe und in welcher Qualität die Daten aufgenommen und erfasst werden müssen. Auf Basis der erfassten Daten gilt es dann, Dekarbonisierungsziele zu definieren.

Auf Basis der Ziele können dann wiederum Maßnahmen für die grüne Transformation abgeleitet werden – abgestimmt auf die technischen Rahmenbedingungen der Unternehmen und unter Berücksichtigung der künftigen Versorgung mit grüner Energie. Am Ende ist es wichtig, mit Leidenschaft und Durchhaltevermögen dabei zu bleiben. Denn die Laufzeit eines solchen Projektes beträgt Jahre bis Jahrzehnte – man braucht also einen langen Atem.

Das Interview führte Heiko Stoll

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