Lärmbelästigung ist allgegenwärtig: Der Mensch ist im Alltag und vor allem im industriellen Umfeld dauerhaft einer großen Flut von akustischen Eindrücken ausgesetzt. Die gesundheitlichen Folgen dieses Lärms sind deutlich zu erkennen. Nach einer aktuellen Studie der Jade Hochschule Oldenburg leiden alleine in Deutschland rund elf Millionen Menschen unter Schwerhörigkeit, und in einigen relevanten Industriezweigen werden 56 Prozent aller Berufskrankheiten durch Lärm verursacht. Schätzungen des Instituts für Gesundheitsökonomik München aus dem Jahr 2011 beziffern den entstehenden volkswirtschaftlichen Schaden auf jährlich 2,6 Milliarden Euro.
PROTOTYP ENTSTEHT
Im Institut für Systemdynamik und Mechatronik (ISyM) der Fachhochschule Bielefeld ist das Gründungsprojekt „HEA²R“ – Headset for Augmented Auditive Reality – gestartet. Im Projekt wird ein ganz neuer Gehörschutz mit zahlreichen Sonderfunktionen entwickelt, der die Mitarbeiter etwa im produzierenden Gewerbe bestmöglich schützen und gleichzeitig Arbeitsabläufe erleichtern soll. HEA²R wird durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und den Europäischen Sozialfonds im Rahmen des Förderprogramms „EXIST Forschungstransfer“ mit insgesamt rund 627.000 Euro gefördert. Im Rahmen dieses Programms bildet die IHK das sogenannte Gründernetzwerk.
Projektleiter Tobias Lehmann: „Innerhalb der 18-monatigen Projektlaufzeit wird ein funktionaler Prototyp entstehen, der in Partnerunternehmen getestet werden soll. Hierfür sucht das Projektteam aktuell noch weitere Firmen, die sich eine Nutzung des Systems vorstellen können und Interesse an einer Einbindung in das Projekt haben.“ Im Anschluss an die Projektphase soll die Unternehmensgründung aus der Hochschule erfolgen.
AKTIVER GEHÖRSCHUTZ
Der neue Gehörschutz zeichnet sich durch drei wesentliche Merkmale aus. Der so genannte hybride Gehörschutz erweitert den industrieüblichen, passiven Gehörschutz um eine neuartige aktive Gehörschutzlösung und setze damit, so Lehmann, „neue Standards bei der Unterdrückung von Lärm“. Dies führt zur Entlastung des Nutzers und bietet dauerhaften Schutz vor akustischer und mentaler Überbelastung. Lehmann: „Die integrierte Kommunikationslösung ermöglicht den Mitarbeitern auch an Lärmarbeitsplätzen eine natürliche Sprachkommunikation. Der Gehörschutz muss nicht mehr abgenommen werden, um sich mit Kollegen zu verständigen.“
Zusätzlich ermögliche der Gehörschutz durch intelligente Vernetzung im Kontext von Industrie 4.0 weitere Assistenzfunktionen, beispielsweise für Produktion und Logistik. Lehmann: „Dies ermöglicht vielfältige und auf den Kundenbedarf zugeschnittene Anwendungen, wodurch HEA²R nachhaltig die Produktivität in Unternehmen steigert.“
FORSCHUNGSTRANSFER FÖRDERN
Schon 2012 hatte das ISyM-Gründerteam unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Joachim Waßmuth vom Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik begonnen, an Möglichkeiten der aktiven Störschallkompensation zu forschen. Waßmuth: „Die damaligen Ergebnisse waren so vielversprechend, dass die Entwicklung von den beiden wissenschaftlichen Mitarbeitern Tobias Lehmann und Dennis Kaupmann weitergeführt wurden, um darauf aufbauend den Forschungsantrag für das jetzige Projekt auszuarbeiten.“
Das Programm Exist-Forschungstransfer adressiert herausragende forschungsbasierte Gründungsvorhaben, wobei das Projekt nach eingehender Begutachtung einer Expertenjury aus Wirtschaft und Wissenschaft im Mai 2017 von dieser für die Förderung empfohlen wurde. Waßmuth: „Das Projektformat ist einmalig in OWL und unterstreicht die Innovationshöhe des Vorhabens und das Potenzial der aktuell wachsenden Gründerlandschaft in der Region.“
Das Gründerteam wurde mittlerweile um zwei weitere Absolventen der Fachhochschule Bielefeld erweitert: Unterstützung gibt es außerdem von den Institutsmitgliedern des ISyM, die ihre umfangreiche Expertise im Bereich „Human Mechatronics“ einbringen.
Dekan Prof. Dr.-Ing. Lothar Budde vom Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik erklärt, warum das Projekt gut zum Fachbereich passt: „Wir entwickeln Technik für den Menschen. Das ist ein bedeutender Bestandteil unserer Forschungsstrategie.“
Autor: Uwe Lück, IHK