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Bundesverfassungsgericht zum Klimaschutzgesetz: Teils verfassungsgemäß, teils verfassungswid-rig

Seit 2018 wurden diverse Verfassungsbeschwerden zum Klimaschutz erhoben. Grob eingeteilt waren dies erstens deutsche Staatsbürger, zweitens Staatsbürger aus Bangladesch und Nepal, drittens Umweltverbände. Die Verfassungsbeschwerden richteten sich gegen staatliche Untätigkeit beim Klimaschutz und gegen Regelungen des Klimaschutzgesetzes (KSG). Konkret befasst sich das BVerfG in seinem Beschluss vom 29. April 2021 zu allen vorliegenden Beschwerden mit § 3 und § 4 KSG, in denen Minderungsziele definiert und auf einzelne Sektoren heruntergebrochen werden.

Im Ergebnis hat das BVerfG die Verfassungsbeschwerden der Umweltverbände für unzulässig, die der Bürger aus Bangladesch und Nepal für unbegründet erklärt. Das KSG ist insoweit verfassungswidrig, als es die Schritte zur Erreichung der Treibhausgasneutralität nach 2030 nicht exakt genug bestimmt. Entsprechend wird der Gesetzgeber dazu verpflichtet, bis Ende 2022 die Fortschreibung der Treibhausgasminderungsziele für die Zeit nach 2030 näher zu regeln. Die vorgesehen Emissionsmengen müssen hierbei vom Gesetzgeber festgelegt werden. Das KSG sieht hierfür aktuell eine Verordnung der Bundesregierung vor.

Das geltende KSG sieht eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 vor und legt dafür Reduktionspfade für die einzelnen Sektoren fest (Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft und Sonstiges). Erst 2025 sollen nach dem KSG für weitere Zeiträume nach dem Jahr 2030 jährlich absinkende Emissionsmengen durch Rechtsverordnung festgelegt werden.

In seiner ausführlichen Begründung betont das BVerfG zunächst, dass die Grundrechte nicht nur Abwehrrechte sind, sondern den Staat zugleich verpflichten, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit zu stellen. Die Schutzpflicht umfasse die Pflicht, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen, diese könne sich auf künftige Generationen erstrecken. Bei der Bestimmung des Schutzkonzepts stehe dem Gesetzgeber allerdings ein breiter Entscheidungsspielraum zu, den er aktuell nicht überschritten habe.

Viel Neues findet sich zur Staatszielbestimmung Umweltschutz (Art. 20a GG). Diese verpflichte den Staat zum Klimaschutz. Dies ziele auch auf die Herstellung von Klimaneutralität. Art. 20a GG genieße keinen unbedingten Vorrang gegenüber anderen Belangen, sondern sei im Konfliktfall in einen Ausgleich mit anderen Verfassungsrechtsgütern und Verfassungsprinzipien zu bringen. Dabei nehme das relative Gewicht des Klimaschutzgebots in der Abwägung bei fortschreitendem Klimawandel weiter zu. Bestehe wissenschaftliche Ungewissheit über umweltrelevante Ursachenzusammenhänge, schließe die durch Art. 20a GG dem Gesetzgeber auch zugunsten künftiger Generationen aufgegebene besondere Sorgfaltspflicht ein, bereits belastbare Hinweise auf die Möglichkeit gravierender oder irreversibler Beeinträchtigungen zu berücksichtigen.

Art. 20a GG ist nach Einschätzung des BVerfG eine justiziable Rechtsnorm, die den politischen Prozess zugunsten ökologischer Belange auch mit Blick auf die künftigen Generationen binden soll. Die Vereinbarkeit mit Art. 20a GG sei Voraussetzung für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung staatlicher Eingriffe in Grundrechte. Als Klimaschutzgebot habe Art. 20a GG eine internationale Dimension. Der nationalen Klimaschutzverpflichtung stehe nicht entgegen, dass der globale Charakter von Klima und Erderwärmung eine Lösung der Probleme des Klimawandels durch einen Staat allein ausschließt. Das Klimaschutzgebot verlange vom Staat international ausgerichtetes Handeln zum globalen Schutz des Klimas und verpflichtet, im Rahmen internationaler Abstimmung auf Klimaschutz hinzuwirken.

In Wahrnehmung seines Konkretisierungsauftrags und seiner Konkretisierungsprärogative habe der Gesetzgeber das Klimaschutzziel des Art. 20a GG aktuell verfassungsrechtlich zulässig dahingehend bestimmt, dass der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen sei. Um dieses als Maßgabe für die Begrenzung von CO2-Emissionen anwenden zu können, sei eine Übersetzung der Temperaturmaßgabe in eine Emissionsmaßgabe erforderlich. Ein solche Übersetzung leiste ungeachtet der Schwierigkeiten exakter Quantifizierung der Budgetansatz des IPCC. Neue hinreichend gesicherte Erkenntnisse könnten auch unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Entscheidungsspielraums eine andere Zielfestlegung erforderlich machen.

Das Grundgesetz verpflichte unter bestimmten Voraussetzungen zur Sicherung grundrechtsgeschützter Freiheit über die Zeit und zur verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen. Subjektivrechtlich schützten die Grundrechte als intertemporale Freiheitssicherung vor einer einseitigen Verlagerung der durch Art. 20a GG aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft. Auch der objektivrechtliche Schutzauftrag des Art. 20a GG schließe die Notwendigkeit ein, mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten.

Die Schonung künftiger Freiheit verlange auch, den Übergang zu Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten. Konkret erfordere dies, dass frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion formuliert würden, die für die erforderlichen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse Orientierung böten und diesen ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermitteln.

Nach erster Einschätzung erscheinen die zwingend notwenigen Korrekturen am Klimaschutzgesetz überschaubar. Nachdem das EU-Klimaschutzgesetz soeben überabeitet wurde und sich daraus auch für das deutsche Klimaschutzrecht, insbesondere für die von Deutschland im Rahmen des Effort Sharing abzuleitenden Minderungspflichten erheblicher Anpassungsbedarf ergeben könnte, steht das Klimaschutzgesetz ohnehin auf dem Prüfstand. Allerdings gibt das BVerfG dem Gesetzgeber dafür den folgenden recht komplexen Auftrag:

„Praktisch verlangt die Schonung künftiger Freiheit hier den Übergang zu Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten. In allen Lebensbereichen – etwa Produktion, Dienstleistung, Infrastruktur, Verwaltung, Kultur und Konsum, letztlich bezüglich aller heute noch CO2-relevanten Vorgänge – müssen Entwicklungen einsetzen, die ermöglichen, dass von grundrechtlicher Freiheit auch später noch, dann auf der Grundlage CO2-freier Verhaltensalternativen, gehaltvoll Gebrauch gemacht werden kann. Allerdings wäre der Staat weder in der Lage noch ist es allein seine Aufgabe, alle technologischen und sozialen Entwicklungen zur Ersetzung und Vermeidung von treibhausgasintensiven Prozessen und Produkten und den Ausbau hierfür erforderlicher Infrastrukturen selbst zu erbringen. Es könnte dem Gesetzgeber auch kaum gelingen, die erforderlichen Entwicklungen konkret vorzugeben. Verfassungsrechtlich verpflichtet ist er aber, grundlegende Voraussetzungen und Anreize dafür zu schaffen, dass diese Entwicklungen einsetzen.“

Quelle: DIHK

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