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„Coronapandemie“ als Rechtfertigung für die Aufhebung eines Vergabeverfahrens?

Eine bereits ergangene Benachrichtigung über einen beabsichtigten Zuschlag gemäß § 134 GWB hindert nicht die freie Entscheidung des Auftraggebers über die tatsächliche Vergabe eines Auftrags.

Sachverhalt

Die Antragstellerin war Bieterin in einem von der Antragsgegnerin am 15. Januar 2020 zur Veröffentlichung gelangten Vergabeverfahren von Dienstleistungen der Konzeption und Durchführung von Maßnahmen zur Heranführung an den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Der Beginn der Maßnahmen war für Mai 2020 geplant. Am 12.03.2020 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin gemäß § 134 GWB über die beabsichtigte Zuschlagserteilung auf das von ihr eingereichte Angebot.

Im Zuge weiterer Überlegungen der Antragsgegnerin mit Blick auf die Ausbreitung des Coronavirus und die diesbezügliche Weiterführung des Vergabeverfahrens, entschied sich diese zur Aufhebung des Verfahrens. Als Grund für die Aufhebung sah die Antragsgegnerin dabei insbesondere den nach der Pandemie veränderten Bedarf am Arbeitsmarkt, die mögliche Umverteilung von Haushaltsmitteln sowie praktische Schwierigkeiten bei der Durchführung von Präsenzveranstaltungen. Die Mitteilung über die Aufhebung erfolgte am 23.03.2020 an die Antragstellerin. Diese rügte mit Schreiben vom 25.03.2020, dass ein Aufhebungsgrund nicht gegeben und die Entscheidung der Antragsgegnerin ermessensfehlerhaft sei. Die Antragstellerin begründete dies u.a. damit, dass das BMWi in seinem Rundschreiben vom 19.03.2020 Möglichkeiten flexibler Beschaffungsverfahren dargestellt sowie auf die Möglichkeit von Vertragsveränderungen und –verlängerungen gemäß § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 GWB hingewiesen habe.

Im Weiteren, so die Antragstellerin, hatte die Antragsgegnerin selbst eingeräumt, dass der Bedarf der ausgeschriebenen Leistungen grundsätzlich nicht entfallen sei. Des Weiteren führte die Antragstellerin aus, dass zwischen dem Versand des Vorinformationsschreibens am 12.03.2020 und der Entscheidung zur Aufhebung am 23.03.2020 keine wesentlichen Änderungen eingetreten seien. Die Antragsgegnerin half der Rüge nicht ab. Die Antragstellerin stellte daraufhin einen Nachprüfungsantrag vor der Vergabekammer, u.a. mit der Begründung, die Antragsgegnerin hätte andere Möglichkeiten nicht geprüft, die eine Fortführung des Vergabeverfahrens ermöglicht hätten.

Beschluss

Ohne Erfolg! Der Nachprüfungsantrag ist, soweit er zulässig ist, unbegründet! Die Antragsgegnerin hat das ihr zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Aufhebung der Aufhebungsentscheidung der Antragsgegnerin und Abschluss des Vergabeverfahrens durch Erteilung des Zuschlags auf ihre zu den beiden Losen eingereichten Angebote. Die Grundlage des Verfahrens hatte sich geändert. Ein Aufhebungsgrund gemäß § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VgV ist gegeben.

Unstreitig ist, dass die pandemische Verbreitung des neuartigen Coronavirus ab Januar 2020 ein weder der Antragsgegnerin zurechenbares noch vorhersehbares Ereignis ist. Die Antragsgegnerin hatte dargelegt, dass sich dadurch die Bedingungen für die ausgeschriebenen Maßnahmen erheblich verändert hatten. Die dem Verfahren zu Grunde liegenden ausgeschriebenen Maßnahmen befassten sich mit der Vermittlung von Arbeitskräften an das Hotel- und Gaststättengewerbe. Der aktuellen Situation geschuldet wussten die entsprechenden Unternehmen zu dieser Zeit kaum, wie sie selbst ihre Stammbelegschaft halten konnten. Die Gewinnung neuer Beschäftigter bei den Unternehmen des Hotel- und Gaststättengewerbes stand coronabedingt damit nicht im Vordergrund. Insoweit sei es auch nachvollziehbar, dass sich die Antragsgegnerin in Bezug auf arbeitsmarktpolitische Maßnahmen neu positionieren musste.

Auch die vorgebrachten Erwägungen der Antragsgegnerin der Finanzierungsgrundlagen begründeten damit einen rechtmäßigen Aufhebungsgrund in dem Vergabeverfahren, wenn Haushaltsmittel durch unvorhergesehene Ereignisse überraschend gekürzt oder ganz zurückgezogen wurden. Wesentliche Änderungen der Grundlagen des Vergabeverfahrens liegen insoweit weiter vor, wenn dem Auftraggeber nicht zuzumuten ist, bei einer ungesicherten Finanzierung eines der eingegangenen Angebote anzunehmen.
Zudem haben sich diese Änderungen der Grundlagen auch nach Einleitung des Vergabeverfahrens verwirklicht. Sowohl die akute pandemische Ausbreitung des Corona-Virus als auch die damit einhergehenden wirtschaftlichen Folgen durch Betriebsschließungen sind erst nach der Auftragsbekanntmachung am 15. Januar 2020 eingetreten.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist insoweit nicht auf den Zeitraum beginnend ab Zuschlagsentscheidung mit Versand der Vorinformationen am 12. März 2020 abzustellen. Die Mitteilung über den beabsichtigten Zuschlags resultiert aus den vergaberechtlichen Wartefristen gemäß § 134 GWB und dient dem Rechtsschutz unterlegener Bieter. Der Bieter, der über diese Absicht informiert wird, erhält damit keinen verfestigten Anspruch auf Fortsetzung des Vergabeverfahrens und insoweit Erteilung des Zuschlags. Die Vergabekammer hatte hier noch einmal ausdrücklich betont, dass die wesentliche Änderung der Grundlage des Vergabeverfahrens vor der abschließenden Erteilung des Zuschlags entscheidend und damit ausschlaggebend sei.
Im Übrigen hatte sich gerade nach dem 12. März 2020 eine rapide Veränderung der Einschätzung und öffentlichen Diskussion der Situation in Deutschland in der weiteren Folge des Vergabeverfahrens manifestiert, die schließlich in dem Beschluss eines „harten“ Lockdowns des öffentlichen Lebens in den Bundesländern ab dem 23. März 2020 gipfelte.
Die Antragsgegnerin hatte das ihr gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VgV zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Insbesondere hatte sie in ihren internen Überlegungen im Vermerk vom 19. und 23. März 2020 zahlreiche Aspekte der aus der Corona-Pandemie entstandenen Situation für die laufenden Vergabeverfahren diskutiert und Lösungsansätze abgewogen.

Im Übrigen verwies die Vergabekammer darauf, dass eine Aufhebung des Vergabeverfahrens auch dann denkbar sei, wenn kein in den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannter Grund für die Aufhebungsentscheidung vorläge. Maßgeblich sei allerdings, dass für die Aufhebungsentscheidung ein sachlicher Grund bestünde, so dass keine missbräuchliche Vorgehensweise in Form einer Scheinaufhebung oder aber einer Diskriminierung einzelner Bieter vorläge. Der das Vergaberecht beherrschende Grundsatz der Sparsamkeit und Effizienz bei der Verwendung öffentlicher Haushaltsmittel wäre andernfalls verletzt.

Praxistipp

Selbst im Falle der Benachrichtigung der Bieter gemäß § 134 GWB über die beabsichtigte Erteilung des Zuschlags besteht von Seiten des Best- und damit Zuschlagsbieters kein verfestigter Anspruch auf diesen. Vielmehr dient die Vorinformation der Rechtsschutzmöglichkeit unterlegener Bieter in dem Verfahren, sich an die jeweilige Vergabekammer wenden zu können. Gleichwohl betont die VK Bund in seiner Entscheidung, dass die tatsächliche Vergabe eines Auftrags und damit Zuschlagserteilung in der freien Entscheidung des Auftraggebers liegt und auch die Aufhebung des Vergabeverfahrens ohne ein in den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannten Aufhebungsgrund erfolgen kann. Maßgeblich ist jedoch das Vorliegen eines sachlichen Grundes.

Einzig das Argument „Coronapandemie“ als Rechtfertigungsgrund für alles zu Grunde zu legen, reicht jedoch nicht. Vielmehr ist unter Abwägung der besonderen Umstände und Voraussetzungen an die Leistungserbringung zu prüfen, ob sich die Grundlage des Verfahrens auch vor dem Hintergrund der pandemischen Entwicklungen maßgeblich geändert hat. Kein Aufhebungsgrund stellt demgegenüber allein die mögliche Umverteilung von Haushaltsmitteln dar.
 
VK Bund, Beschl. vom  07.05.2020 (Az.: 2-31/20)

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