Es ist ein Thema, das buchstäblich bewegt: die zukünftige Verkehrspolitik Bielefelds. Diskutiert wurde diese bei der Veranstaltung „Bielefeld vor der Verkehrswende?“ in der IHK in Bielefeld. Rund 100 Teilnehmer folgten der Einladung zu der Gemeinschaftsveranstaltung von IHK Ostwestfalen, Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe zu Bielefeld und Handelsverband OWL.
Aktueller Anlass war der Entwurf einer Mobilitätsstrategie für Bielefeld, die im November auf der Tagesordnung des Stadtentwicklungsausschusses steht. Und dieser Entwurf hat es in sich, wie IHK-Präsident Wolf D. Meier-Scheuven in seiner Begrüßung betonte: „Da ist von einer Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs von 51 Prozent auf 25 Prozent im Jahr 2030 die Rede, also eine Halbierung. Das ist schon heftig und eigentlich kaum vorstellbar.“ Aus Sicht der Wirtschaft gehe es darum, Verkehr so effizient und umweltfreundlich wie möglich zu gestalten. Dazu sollte auf Anreize und Angebote gesetzt werden – nicht auf Verbote. „Erreichbarkeit und eine tragfähige Verkehrsanbindung sind für den Großteil der Unternehmen ein wichtiger Standortfaktor“, betonte der IHK-Präsident. Für Kunden und Mitarbeiter aus dem Umland sei der motorisierte Individualverkehr (MIV) aktuell das wichtigste Verkehrsmittel zur Erreichbarkeit Bielefelds. „Wir sind keine blinden Autofanatiker, als die wir gerne dargestellt werden – aber eine ‚radikale Verkehrswende‘ ins Ungewisse ohne tragfähiges Gesamtkonzept darf es nicht geben.“
„Mobilitätsstrategie 2030“
Gregor Moss, Beigeordneter für Wirtschaft, Stadtentwicklung und Mobilität, betonte in seiner „Mobilitätsstrategie 2030“ für das ostwestfälische Oberzentrum die zentrale Rolle von Bus und Bahn: „Der ÖPNV ist das Rückgrat der zukünftigen Verkehrspolitik.“ Aktuell betrage dessen Anteil am sogenannten Modal Split, dem Anteil des jeweiligen Verkehrsträgers am Gesamtaufkommen, 14 Prozent. Zukünftig soll jeder Verkehrsträger – Fußgänger, Radfahrer, ÖPNV und MIV – zu je einem Viertel zum innerstädtischen Verkehr beitragen. Es müsse das Ziel sein, den ÖPNV zu steigern, „damit andere Verkehrsarten noch den Raum haben, sich zu entwickeln“, so Moss.
„Aktives Mobilitätsmanagement“
Als „Teil der Lösung der Verkehrswende“ stellte Martin Uekmann, Geschäftsführer der Stadtwerke Bielefeld und dessen Verkehrsunternehmen moBiel, sein Unternehmen vor. „Klimaschutzziele werden wir nicht erreichen, wenn wir keine tiefgreifenden Veränderungen vornehmen.“ Rund 60 Millionen Fahrgäste befördere moBiel jährlich, an Spitzentagen bis zu 220.000. Er rechne mit einem weiteren Fahrgastzuwachs von ein bis zwei Prozent pro Jahr. Für ihn laute eine Frage, welche Aufenthaltsqualität Innenstädte haben sollen und wie eine hohe Erreichbarkeit in einer wachsenden Stadt auch ohne MIV sichergestellt werden könne. Eine Lösung seien „demand Verkehre“, bei denen Kleinbusse per App bestellt werden können. Auch sharing-Konzepte seien interessant, die moBiel mit einem E-Roller-Konzept in Bielefeld ausprobieren wolle. Als „aktives Mobilitätsmanagement gemeinsam mit der Wirtschaft“ stellte Uekmann das Job-Ticket vor, von dem es in Bielefeld 14.000 gebe. Für das dritte und vierte Adventwochenende kündigte er eine kostenlose Nutzung des ÖPNV auf ausgewählten Strecken in der Innenstadt an, um auch so für die Nutzung von Bus und Bahn zu werben.
Was meint die Politik?
• SPD Für Georg Fortmeier, Fraktionsvorsitzender der SPD, befinden wir uns „nicht mehr vor der Verkehrswende, sondern wir sind mittendrin“, und zwar weltweit. Die 15 Millionen Euro Fördergelder für das Projekt „Emissionsfreie Innenstadt“ seien eine „Riesenchance, Bielefeld mit neuer Mobilität auszustatten“. Das Mobilitätskonzept seiner Partei sieht für den Umweltverbund – Fußgänger, Radfahrer, ÖPNV – einen Anteil von 75 Prozent vor.
• Bündnis 90/Die Grünen Dass die Verteilung der „knappen Ressource Verkehrsraum“ nicht ohne Konflikte neu zu regeln sei, betonte Jens Julkowski-Keppler, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, am Beispiel des Jahnplatzes. Auch er forderte den weiteren Ausbau des ÖPNVs: „Wir brauchen neue Stadtbahnen für Bielefeld.“
• BfB Dietmar Krämer, 1. Vorsitzender der BfB, will „Individualverkehr leiten, nicht verhindern“. Er forderte ein langfristiges interkommunales Gesamtverkehrskonzept für alle Verkehrsteilnehmer in Bielefeld. Außerdem solle der ÖPNV gestärkt und ausgebaut werden, „auch durch längere Ticketlaufzeiten“.
• CDU Für die CDU betonte deren Fraktionsvorsitzender Ralf Nettelstroth, dass Mobilität und Freizügigkeit ein Grundrecht seien. Statt auf eine Verkehrswende setze er auf einen evolutionären Prozess, „Mobilität wird sich in den nächsten zehn Jahren massiv verändern.“ Eines der Kernziele für seine Partei laute, dass Bielefeld als Oberzentrum gut, schnell und sicher erreichbar sei müsse. Es dürfe keine „Repression gegen den Individualverkehr geben, sondern ein Miteinander der Verkehrsarten“.
• FDP Eine ähnliche Argumentation verfolgte FDP-Chef Jan Maik Schlifter. „Mobilität ist ein Grundbedürfnis, kein Luxus“. Er plädierte für ein „faires Miteinander aller Verkehrsträger“ und forderte, die Rahmenbedingungen für Radverkehr und ÖPNV zu verbessern. Allerdings müsse sich Politik auch die Frage stellen, ob auf allen Straßen alle Verkehrsteilnehmer untergebracht werden müssten. „Wir müssen Mobilität ermöglichen, statt zentral zu planen“, lautete sein Credo.
• Bürgernähe/Piraten Einen Rückstand von 15 Jahren in der Bielefelder Verkehrspolitik konstatierte Martin Schmelz, Gruppensprecher Bürgernähe / Piraten, und nannte als Fahrrad-Vorbilder die dänische Metropole Kopenhagen oder Münster. Die Mobilität für Bürger und Wirtschaft in Stadt und Region solle durch den Umweltverbund und ein vernetztes Verkehrssystem sichergestellt werden. Insgesamt seien ihm die Ziele in Bielefeld „nicht ambitioniert genug“.
• Die Linke Bernd Vollmer von der Partei Die Linke stellte den Klimaschutz ins Zentrum seiner Argumentation. Verkehr sei einer der Problembereiche, Mobilität müsse neu gedacht werden. Jeder Verkehr, ob zum Arbeitsplatz, als Freizeit- oder Wirtschaftsverkehr, benötige eine eigene Lösung. „Der Modal-Split hilft nicht weiter“, der ÖPNV sei nicht in andere Systeme integriert.
Und was sagt die Wirtschaft?
In der abschließenden Diskussion kritisierte Firmenchef und IHK-Industrieausschuss-Mitglied Rudolf Delius die Politiker: „Ich habe keine Strategie gehört, ich habe Ziele gehört.“ Er plädierte dafür, Verkehr „Flüssig zu machen“ und berichtete, dass in seinem Unternehmen drei Mitarbeiter gekündigt hätten, weil die Erreichbarkeit Bielefelds schwierig sei. Auch angesichts der momentanen Fachkräftesituation auf dem Arbeitsmarkt sei dies ärgerlich. Für ihn müssen erst die Alternativen funktionieren, bevor der MIV eingeschränkt werde.
Rainer Schorcht, Einzelhändler aus Gütersloh, stellvertretender Vorsitzender des Handelsverbands und IHK-Vizepräsident, hält einen Anteil von 25 Prozent MIV für „völlig vermessen“. Es sei optimistisch, dass es noch Politiker gebe, die den MIV erhalten und die Nutzer nicht bevormunden wollten. Er vermisse Park-and-Ride-Konzepte, die einen Umstieg auf den ÖPNV erleichtern würden.
Auch Jörn Wahl-Schwentker, Logistik-Unternehmer aus Bielefeld und Mitglied des IHK-Verkehrsausschusses, forderte, den MIV „nicht zu verbrämen“. Er gehe davon aus, dass wir vor einem großen Technologieumbruch stehen, der zu weniger Pkws insgesamt führen würde. Sein Plädoyer: „Nicht überstürzt Verkehrswege abbauen“.
Für das Handwerk merkte Metallbau-Unternehmer Heiner Dresrüsse an, dass es Verunsicherung gebe, ob sie noch in die Stadt fahren dürften. „Es ist schwierig, einen Stahlträger mit Bus und Bahn zu transportieren“, sagte das Vorstandsmitglied der Handwerkskammer. „Wir sprechen nur über Pendler, aber auch Baustellen müssen erreichbar sein. Wir brauchen ein intelligentes Verkehrsleitsystem, dadurch lassen sich viele Staus in der Stadt vermeiden“, lautete sein Fazit.
Text: Heiko Stoll, IHK
Fotos: Heiko Stoll, Elena Ahler