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Bahnfahrten eines Fahrzeug-Überführers sind Arbeitszeit

Reisezeiten mit der Bahn, die im Zusammenhang mit der Überführung von neuen Nutzfahrzeugen anfallen, sind Arbeitszeit im Sinn des Arbeitszeitgesetzes, entschied das Verwaltungsgericht Lüneburg mit Verweis auf die Arbeitszeit-Richtlinie. Nach der europarechtlichen Begriffsbestimmung sei entscheidend, ob der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt, was das Gericht hier bejaht hat.

„Freizeitopfer“ statt Arbeitszeit?

Die Klägerin in den beiden Verfahren ist ein Speditionsunternehmen, das auf die Überführung von neuen und gebrauchten Nutzfahrzeugen, unter anderem Sattelzugmaschinen, spezialisiert ist. Die für die Überführung eingesetzten Arbeitnehmer fahren mit Taxi und Bahn zum jeweiligen Abholort des Fahrzeugs, übernehmen es dort und fahren das Fahrzeug anschließend auf der eigenen Achse zum Zielort.

Von dort reisen sie wiederum mit der Bahn zurück zu ihrem Wohnort. Das zuständige Gewerbeaufsichtsamt hatte der Klägerin aufgegeben, die zulässigen Höchstarbeitszeiten einzuhalten und dabei festgestellt, dass Bahnreisezeiten, die im Zusammenhang mit der Überführung von neuen Nutzfahrzeugen anfallen, als Arbeitszeit im Sinn des Arbeitszeitgesetzes zu berücksichtigen seien. Dagegen wandte sich die Klägerin mit dem Argument, die betroffenen Arbeitnehmer seien während der Bahnfahrt in der Gestaltung ihrer Zeit völlig frei, sodass ihnen nur ein „Freizeitopfer“ abverlangt werde.

Unterschiedliche Arbeitszeitbestimmung

Dieser Argumentation ist die Dritte Kammer des Verwaltungsgericht Lüneburg nicht gefolgt: Die einschlägigen europarechtlichen Grundlagen der Arbeitszeit-Richtlinie erforderten im vorliegenden Fall eine von der gängigen Definition des Bundesarbeitsgerichts abweichende Bestimmung des Begriffs der Arbeitszeit.

Zwar gehe mit dem Bahnfahren nicht zwingend eine dem Gesundheitsschutz zuwiderlaufende Belastung einher, was nach der sogenannten Beanspruchungstheorie des BAG maßgeblich für die Erfassung einer Tätigkeit als Arbeitszeit sei. Für die europarechtliche Begriffsbestimmung sei indes allein entscheidend, ob der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Verfügung stehe und seine Tätigkeit ausübe oder Aufgaben wahrnehme.

Bahnreisezeit in der Sphäre des Arbeitgebers

Danach zähle die Bahnreisezeit als Arbeitszeit, so das VG Lüneburg weiter. Denn die regelmäßig mehrstündige An- und Abreise mit der Bahn sei einerseits bereits Teil der Leistungserbringung und beschränke andererseits die Freiheit der Fahrer, über ihre Zeit selbst zu bestimmen. So hänge die Dauer der Bahnreisezeit allein davon ab, an welchen Ort das Fahrzeug überführt werden müsse.

Anders als bei der Anreise zu einer festen Betriebsstätte stehe sie somit nicht zur Disposition des Arbeitnehmers, sondern sei der Sphäre des Arbeitgebers zuzurechnen. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus den besonderen Vorschriften des deutschen und des europäischen Rechts zur Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausübten, denn diese fänden im vorliegenden Fall keine Anwendung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Quelle: VG Lüneburg, Urteil vom 02.05.2023 – 3 A 146/22
Redaktion beck-aktuell, Verlag C.H.BECK, 6. Juni 2023 von Gitta Kharraz

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