Erst 2013 trat Kroatien als jüngstes Mitglied der Europäischen Union bei. Zwar erreichte das Land vor zwei Jahren bei der Kaufkraft pro Kopf nur 59 Prozent des EU28-Durchschnitts, doch die positive Entwicklung der vergangenen Jahre ist deutlich erkennbar. Sven Thorsten Potthoff, Geschäftsführer der AHK Kroatien, äußert sich im Interview über seine ersten Eindrücke von der Wirtschaft und die Chance von EU-Fördermitteln für deutsche Firmen
Herr Potthoff, Sie sind seit Mitte Januar Geschäftsführer der AHK. Was waren Ihre ersten Eindrücke von der Wirtschaft des Landes?
Der erste Eindruck war, dass hier etwas im Wachsen ist. Seit 2015 befindet sich die Wirtschaft auf einem konstanten Trend nach oben. Die Wirtschaftspolitik der Regierung sorgt für bessere Wirtschaftsbedingungen. 2017 ist es dem Land offenbar erstmals seit der Unabhängigkeit gelungen, einen Haushaltsüberschuss zu erzielen. Zudem gibt es zahlreiche perspektivreiche Branchen. Hier denke ich an Bereiche wie die Informations- und Telekommunikationstechnik, Nahrungsmittel, Pharma, Tourismus und Dienstleistungen. Gleichzeitig hatte ich aber auch den Eindruck, dass sich das Land durch zu viel Bürokratie und hohe Unternehmenssteuern teilweise selbst im Weg steht und sich noch schneller wirtschaftlich entwickeln könnte. Und natürlich wurde ich mit den Problemen um die Firma Agrokor konfrontiert, deren Einnahmen 15 Prozent des Staatsetats entsprechen und die kurz vor dem Bankrott stand.
Die grundsätzlich gute Entwicklung kommt auch deutschen Firmen zugute. Was sind die wichtigsten Exportgüter?
Aus Deutschland werden vor allem Kfz und -Teile, Maschinen, Lebensmittel und chemische Erzeugnisse eingeführt. Deutschland hatte 2016 einen Anteil von 16,1 Prozent an den Importen Kroatiens und war damit Spitzenreiter. Die deutschen Exporte legten auch 2017 mit einem Plus von fast neun Prozent weiter zu.
Welche Maßnahmen ergreift die Regierung, um das Investitionsklima zu verbessern?
Das ist sicher eines der Themen, welches die Regierung priorisiert angeht. 2017 gab es eine große Steuerreform, die zum einen die bisher sehr hohen Steuerbelastungen für Unternehmen senkte und zum anderen das komplexe Steuersystem vereinfachte. Bereits 2015 führte die Regierung ein Gesetz zur Förderung von Investitionen ein, welches vor allem für kleine und mittlere Unternehmen steuerliche Anreize bot. Zum Thema Bürokratieabbau gab es 2017 einen Aktionsplan, welcher ebenfalls das Ziel verfolgt, die Belastungen für die Unternehmen zu senken. Trotz der großen Fortschritte besteht allerdings noch Verbesserungspotenzial. Aber die Regierung ist weiter an der Thematik dran und will beispielsweise für den Forschungs- und Entwicklungsbereich ein Gesetz verabschieden, das weitere steuerliche Erleichterungen bei Investitionen in diesen Bereichen vorsieht.
Kroatien profitiert in der Förderperiode 2014 bis 2020 von EU-Mitteln in Höhe von insgesamt 10,8 Milliarden Euro. Bieten diese auch Chancen für deutsche Firmen?
Ganz klar: ja. Davon wird die bilaterale wirtschaftliche Zusammenarbeit deutlich profitieren. Wenn wir das runterbrechen auf mittelständische deutsche Unternehmen, kommen wir zum einen zu den Themen erneuerbare Energien und Energieeffizienz und damit auch zum Wohnungsbau und Tourismus. Hier ist einiges für deutsche Firmen möglich, gerade bei der Neuaufstellung des Tourismussektors, der wiederum eine Strahlkraft auf viele andere Sektoren hat. Zum anderen kommen natürlich Felder wie Forschung und Entwicklung, Maschinenbau, Kreislaufwirtschaft und Infrastruktur zum Tragen, wo zum Teil bereits hervorragende Geschäftsbeziehungen zwischen beiden Ländern bestehen.
Für welche Unternehmen kommt Ihr Service, die Organisation von Fachveranstaltungen, in Frage?
Das kann sowohl für kleine und mittelständische Unternehmen, aber auch große Firmen und Verbände interessant sein. Erst kürzlich haben wir beispielsweise eine Veranstaltung im Themenbereich erneuerbare Energien organisiert und dabei von unserem ausgezeichneten Netzwerk aus Verbänden, Politik und Wirtschaft profitiert.
Beenden Sie bitte den folgenden Satz: „Kroatien ist ein attraktiver Investitions- und Exportmarkt, weil …“
… das EU-Mitglied strategisch eine sehr gute Lage hat, zahlreiche Branchen eine aus-gezeichnete Perspektive haben und viele Menschen nicht nur sehr gut, sondern auch deutschsprachig ausgebildet sind.