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Konflikt zwischen Demokratie und Staatskapitalismus

Brexit, Staatsverschuldung, Spaltung und Abschottung: „Bangen um den Welthandel“ lautet das Thema von Prof. Dr. Gabriel Felbermayr, Direktor des Zentrums für Außenwirtschaft des ifo Instituts, München, beim TreffPunkt IHK in Bielefeld. Wie die aktuelle Außenwirtschaftslage einzuschätzen ist, erläutert der Fachmann im Interview mit der „Ostwestfälischen Wirtschaft“.

INTERVIEW Prof. Gabriel Felbermayr sieht in den schleppenden Reformen der WTO und dem Krisenjahr 2008 Ursachen für die momentane Lage auf dem Weltmarkt. Der nächste Wachstumsschub wird vom Dienstleistungshandel ausgelöst, der weltweite Gütermarkt bewegt sich seitwärts

Herr Prof. Felbermayr, Handelskrieg, Abschottung und Strafzölle sind die Vokabeln, die Berichte über den internationalen Handel prägen. Was läuft momentan schief?

Wir erleben seit Beginn des neuen Jahrtausends eine Krise des Multilateralismus, nicht erst seit Trump. Die WTO verhandelt seit 2001 das DOHA-Abkommen, das die Welthandelsorganisation reformieren soll – diese Verhandlungen sind bis heute nicht abgeschlossen. Das Regelwerk der WTO wurde von 1986 bis 1994 ausgehandelt, es stammt zum Teil noch aus Zeiten des Kalten Krieges. Statt eines Systemwettbewerbs zwischen Kapitalismus und Kommunismus stehen wir heute vor der Auseinandersetzung zwischen liberaler Demokratie und Staatskapitalismus, wie er beispielsweise in China existiert. Für diese Konfliktlage ist die 1995 gestartete WTO nicht geschaffen, darin verbirgt sich ihr Kernproblem, ihr Regelwerk ist nicht adäquat.

Dass es zum Brexit, zur Wahl Trumps, zu mehr Nationalismus kommt, hat auch mit dem Krisenjahr 2008 zu tun. Das damalige Kapitalismus-Modell ist gescheitert: Die Idee, wir öffnen die Märkte und die Verlierer dieser Marktöffnung können sich aus eigener Anstrengung retten, ist naiv. Stahlarbeiter werden nicht zu IT-Experten. Es gibt Widerstand gegen dieses Globalisierungsmodell. Trump wurde daher vor allem im sogenannten „Rust Belt“ gewählt.

Multilaterale Abkommen galten bislang als Schlüssel für internationalen Handel, Wachstum und Wohlstand. Der Abschluss solcher Vereinbarungen wird immer komplizierter. Welche Rolle kann oder soll Europa zukünftig in der internationalen Handelspolitik spielen?

Die EU ist ein Block, der sich sehr aktiv für bilaterale Abkommen einsetzt und dabei auch erfolgreich ist: dafür sprechen das EU-Kanada-Abkommen, die EU-Japan-Vereinbarung oder die laufenden EU-Mercosur-Verhandlungen. Auch ein transatlantisches Abkommen ist seit dem Treffen von Juncker und Trump im Rosengarten des Weißen Hauses wieder auf dem Tisch. Allerdings ist das eine zweischneidige Sache: Je mehr bilaterale Abkommen es gibt, umso kleiner ist der Anteil des Handels, der auf die Regeln der WTO überhaupt angewiesen ist. Gleichzeitig verschuldet die Krise der WTO die Zunahme bilateraler Abkommen. Dabei sind multilaterale WTO-Abschlüsse besser, sie liberalisieren mit einer Vereinbarung den Handel zwischen 168 Ländern. Seit Trump hat die EU recht konkrete Vorschläge gemacht, die WTO zu reformieren. Allerdings kann die EU das nicht alleine schaffen. Um erfolgreich zu sein, müssen die Interessen der EU, Chinas, Japans und der USA gebündelt werden. Durch Trumps Drohungen mit Handelskriegen ist eine WTO-Reform paradoxerweise wahrscheinlicher geworden, weil China Zugeständnisse machen muss.

Handelshemmnisse nehmen zu und damit verbunden die Anzahl an Vorschriften und Verboten. Wie wirkt sich eine solche Entwicklung auf die Exporte von Unternehmen aus, ziehen sich KMUs aus Märkten zurück und bleiben „nur“ noch große Firmen im internationalen Geschäft übrig?

Handelshemmnisse, die mit Politik zu tun haben, beispielsweise Zölle oder Anti-Dumping-Vereinbarungen, nehmen zu. Sie führen zu zusätzlichen Kosten und zu neuer Verunsicherung bei den Unternehmen. In der Folge sinkt der Export. Neben diesen politischen Hürden erleben wir aber auch sehr dynamische technologische Veränderungen im internationalen Handel. Logistikketten werden digitalisiert, die Kommunikationskosten sinken, die Sprachbarrieren sinken, weil mehr Menschen englisch sprechen. Insgesamt sind große Firmen gegenüber kleinen im Vorteil, denn sie können sich technologische Lösungen früher leisten. Auch im Umgang mit Bürokratie sind sie geübter und können Bürokratiekosten eher verkraften. Außerdem können sie Mitarbeiter in den Exportländern beschäftigen, Siemens hat es da leichter als ein mittelständisches Maschinenbauunternehmen. Allerdings können kleinere Unternehmen auch von der technologischen Entwicklung profitieren, beispielsweise beim internationalen Zahlungsverkehr.

Wenn Ex- und Importe schwieriger werden, führt das zu einer Renationalisierung von Handel und Produktion à la „America first“ – oder lässt sich das Rad nicht mehr zurückdrehen?

Doch, dass sehen wir schon seit den Jahren 2008, 2009. Auch in Deutschland steigt seit damals die Wertschöpfungstiefe der Exportindustrie wieder. In der weltweiten Wirtschaftskrise ging die Exportquote zurück. Anpassungen wurden von den Unternehmen eher an ihren ausländischen Standorten vorgenommen, dort, wo beispielsweise das Arbeitsrecht nicht so restriktiv wie in Deutschland ist. Außerdem ist es immer leichter, solche Schritte weit weg von Firmenstammsitz und vom Aufsichtsrat umzusetzen. Der Welthandel wächst nicht mehr schneller als das Welt-Bruttoinlandsprodukt. Dass ist eine Entwicklung, die man nicht unbedingt beklagen muss. Denn die ersten Jahre des 21. Jahrhunderts waren eine Sonderkonjunktur, getrieben durch den chinesischen Markt. Mittlerweile dreht sich das Rad nicht mehr vor, aber auch nicht zurück. Wir haben im weltweiten Güterhandel ein Plateau erreicht, jedenfalls was sein Niveau relativ zur globalen Produktion angeht.

Im Dienstleistungshandel ist hingegen noch Musik drin. Er wächst, die internationalen Datenströme steigen. Die Wirtschaftswissenschaft kann das noch nicht statistisch belegen, aber der nächste Wachstumsschub wird aus dem Dienstleistungshandel kommen.

Gibt es aktuell Länder oder Regionen, die Sie Exportneulingen empfehlen können?

Für Neulinge sind solche Länder am vielversprechendsten, die den Heimatmärkten am ähnlichsten sind. Für deutsche Unternehmen sind das die EU-Staaten. Nordamerika ist ebenso interessant, Trump hin oder her, das Rechtssystem ist unserem ähnlich. Erst, wenn man sich dort etabliert hat, kommen mit China oder Indien die nächsten Schritte. Indien ist zwar immer noch kompliziert, aber es hat sich stark geöffnet.

Und Afrika? Der Kontinent gilt auch als Zukunftsmarkt.

Afrika hat gigantische Potenziale, aber sie haben 54 Länder, die zunächst ihre internen Handelsbarrieren beseitigen müssen. Der Markt ist zu kleinteilig, da wird es für Unternehmen aus Europa schwierig. Indien, Indonesien oder Brasilien haben diesen Nachteil nicht. Ohne einen Durchbruch für ein transafrikanisches Freihandelsabkommen bleiben dort die Hürden sehr hoch.

Mit welcher Entwicklung im internationalen Handel rechnen Sie in den kommenden fünf Jahren?

Es wird weitergehen, aber der Export wird das Weltsozialprodukt nicht mehr outperformen. Spannend wird, wie sich der Dienstleistungshandel entwickelt. Durch den Einsatz von intelligenter Software könnte die Sprachbarriere verschwinden, was einen nächsten Wachstumsschub auslösen kann. Der Güterhandel wird sich eher seitwärts entwickeln.

Das Interview führte Heiko Stoll, IHK

 

ZUR PERSON

Prof. Dr. Gabriel Felbermayr ist seit 2011 Direktor des Zentrums für Außenwirtschaft des ifo Instituts, München. Zugleich hat er die Professur für „Reale und monetäre Außenwirtschaft“ an der Ludwig-Maximilians-Universität in München inne. Zum 1. März kommenden Jahres wird der 42-Jährige Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Felbermayr, geboren in Steyr, Österreich, hat in Linz Volkswirtschaftslehre und Handelswissenschaften studiert, im italienischen Florenz promoviert und sich in Tübingen habilitiert. Er ist unter anderem Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie.

 

Fotos: ifo/Romy Vinogradova; weerasak/stock.adobe.com

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