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„Social Media ist keine Praktikanten-Aufgabe“

Reichweite steigern, Likes generieren, kostenloses Marketing betreiben: Die Möglichkeiten von Social Media erscheinen endlos. Verlockend sind Instagram, Facebook, Twitter und Co. längst auch für Unternehmen geworden – für viele sogar unverzichtbar. Doch ist das wirklich so? Thorsten Ising und Frank Michna wissen, wer ohne Strategie unterwegs ist, gefährdet Image und Ressourcen. Im Interview reden die Digital-Experten über Corona als Digitalisierungstreiber und das IHK-Beratungsangebot „Social Media Sprechtag“.

Corona hat nicht nur das gesellschaftliche Leben auf den Kopf gestellt. Auch die Unternehmen sahen sich quasi über Nacht mit völlig neuen Herausforderungen konfrontiert. Wie haben Sie die Situation im Frühjahr 2020 erlebt?

Thorsten Ising: Ich war rund um den 12. März 2020 für eine einwöchige Schulung in einem Seminarhotel in Bayreuth. Das Hotel wurde immer leerer und am vorletzten Tag saßen wir abends ganz alleine beim Essen. Da war mir klar, dass die Schulen dicht gemacht werden und alles andere auch. Und das erste, was ich aus diesem Impuls heraus gemacht habe, war, einen Kunden anzurufen und für ihn noch am Abend Webcams zu besorgen. Ich glaubte, das könnte die nächsten Tage knapp werden – und so kam es dann auch. Mir war bewusst, dass sich jetzt alles ins Digitale verlagert. Dass es so immens und auch nachhaltig wird, habe ich aber auch nicht geahnt.

Frank Michna: Als erstes kam bei vielen die Frage auf: ‚Was machen wir denn jetzt?‘ Streaming wurde plötzlich ein Thema. Wir haben in den ersten Wochen vielen Leuten geholfen, erstmal Zoom, Teams und Co. zu verstehen. Wie baut man so etwas auf? Wie geht man damit um? Dann kam erschwerend hinzu, dass die nötige Technik fasst nicht mehr verfügbar war. Die am meisten nachgefragten Artikel waren Webcams, Mikrofone, Greenscreens und Lampen. Die nicht absehbare Dauer hat dazu geführt, dass Corona ein unheimlicher Digitalisierungstreiber war. Viele Unternehmen haben festgestellt, dass man mit Corona weiter leben und arbeiten kann. Mit dieser Erkenntnis wuchs die Bereitschaft sich mit den Fragen zu beschäftigen: Was bedeutet das für die Kommunikation mit meinen Kunden? Wie können wir uns darstellen und wie sehen die Konzepte aus?

Jetzt reagiert jedes Unternehmen anders auf Veränderungen. Wie haben Sie diese durch Corona eingeläutete Dynamik im Bereich Kommunikation wahrgenommen?

Ising: Das muss man sehr unterschiedlich betrachten. Einige sahen sofort ihre Chance, weil sie nun voranschreiten konnten. Andere mussten aus der Not heraus Lösungen finden. Nach dem Motto, ‚das machen wir jetzt so lange, bis alles wieder normal ist.‘ Ich glaube, was jetzt alle in dieser Situation verstehen müssen: Wir werden nicht zu einem alten ‚Normal‘ zurückkehren. Es wird ein neues ‚Normal‘ geben. Sei es aufgrund der Situation dort draußen oder aufgrund dessen, was wir gelernt haben.

Michna: Die Erfahrungen sind zu unterschiedlich. Es gibt kein globales Lernen. Ich erlebe das gerade sehr stark im Bereich des Einzelhandels, der von diesem Thema überrollt worden ist; der aber auch schon vor Corona in Sachen Digitalisierung schlecht aufgestellt war. Und nun versucht man Händlern, die gestern noch das Faxgerät als Revolution betrachtet haben, mit der Brechstange das Thema Online-Shop näher zu bringen. Das ist ein Sprung, der fast nicht zu leisten ist. Viele sind durch Corona dazu gezwungen worden. In der Praxis wird das aber auf ganz verschiedenen Stufen gelebt.

Wie sieht die Situation im Bereich Social Media in Ostwestfalen aus?

Ising: Das sollte man nicht an der Region festmachen. Wir haben hier keine besondere Situation oder Social-Media-Affinität. Das sind Probleme, die die Unternehmen ganz allgemein betreffen. Aktuell ist die Situation so, dass Social Media oft als sehr einfach wahrgenommen wird. Man probiert es gerne aus, beschäftigt sich aber nicht mit den Hintergründen. Das Thema ist nicht damit geklärt, dass ich auf Facebook eine Seite einrichte oder ein Instagram-Profil erstelle. Erfolgreiches Social Media benötigt ein Rüstzeug, ein strategisches Vorgehen. Da geht es um Dinge wie Nutzungsbedingungen, rechtliche Vorgaben, Wettbewerbsrecht, Marketingstrategie, Kommunikationstechniken. Wir können auch nicht Inhalte aus unserer Welt eins zu eins in Social Media übertragen. Social Media braucht Zeit und ist keine Aufgabe für Praktikanten.

Michna: Da geht es dann auch um die Bereitschaft, ein Team abzustellen. Das verlockendste an der Thematik ist ja, dass es umsonst ist. Das kostet ja nichts. Aber es kostet sehr schnell eine ganze Menge, anderthalb oder auch zwei Stellen, Social Media zu bespielen. Es geht um Sensibilität und die Erkenntnis, dass ich dafür Ressourcen aufbringen muss. Dass ich bereit sein muss, mein Team weiterzubilden und auch die Bereiche Marketing und PR zu schulen.

Was sind aus Ihrer Sicht die klassischen Fehler, die begangen werden?

Michna: Es fehlen Strategien. Wie kommuniziere ich mit meinen Kunden auf der Website, wie auf den Social Media-Kanälen? Ich brauche eine ganzheitliche Kommunikationsstrategie. Social Media ist ein interessanter Teil davon. Wer diese Erkenntnis nicht hat, für den kann das belastend werden. Im schlimmsten Fall sieht das Unternehmen dabei einfach schlecht aus.

Ising: Unternehmen stellen sich zum Beispiel die Frage, wie kriege ich mehr Likes auf Instagram? Ob eine Präsenz auf Instagram überhaupt sinnvoll ist, wird aber nicht hinterfragt. Oder ohne zu hinterfragen, ob die Zielgruppe auf dieser Plattform das Unternehmen oder seine Produkte überhaupt haben möchte. Ich muss mir auch klar machen, welchen Nutzen ich habe. Was nützt es mir, wenn ich mehr Likes unter meinem Bild habe, sich darüber hinaus aber niemand mit meinem Unternehmen beschäftigt? Neuneinhalb von zehn Unternehmen sage ich, ‚ihr habt auf Instagram überhaupt keinen redaktionellen Wert‘. Lasst es und kümmert Euch um sinnvolle Wege für Euer Unternehmen.

Wie sehen positive Beispiele aus, die sich Ihrer Meinung auf einen guten Weg gemacht haben?

Michna: Mir fällt da als kleines Beispiel ein Bastelladen ein, der sich kurz vor dem Ausbruch von Corona erstmals mit seinem Online-Geschäft befasst hat. Die wollten unbedingt was tun und haben ihre Bastelanleitungen in Videos auf Facebook präsentiert. Die Nachfrage war groß, täglich haben die in ihrem Laden bis zu 400 Pakete gepackt und verschickt. Das hat das Unternehmen am Leben gelassen und niemand musste entlassen werden.

Ising: Es gibt viele Unternehmen, die inzwischen viel anbieten: Sei es Videoberatung, Livesendungen, Streaming, neu geschaffene Meeting-Räume. Und mittlerweile geht es nicht mehr nur darum, dass so zum Beispiel Produkte beworben werden. Es geht um Personalgewinnung. Fachkräfte aus ganz anderen Regionen Deutschlands konnten akquiriert werden. Und das haben sie nur geschafft, weil sie sich neuen Methoden und Möglichkeiten geöffnet haben.

Ein Unternehmen, das bislang keine oder nur wenige Erfahrung mit Social Media gemacht hat, möchte in diesem Bereich seine Aktivitäten erhöhen. Wie fällt Ihr Rat aus?

Ising: Es gibt kein Patentrezept und es gibt auch keine Social Media-Polizei, die sagt, ‚Das darfst du nicht‘. Es gibt aber Regeln und Co. und es ist nicht sinnvoll, einfach irgendwo einen Kanal zu erstellen. Stellen Sie strategische Fragen. Für wen mache ich das? Warum mache ich das? Wie mache ich es, wann und womit? Kann ich das dauerhaft leisten? Das sind Fragen, die man sich in der Regel nicht alleine beantworten kann.

Michna: Das ist immer eine ganz individuelle Frage. Was ist mit dem Thema Integration der Website? Wie sehen die Ressourcen im Unternehmen aus? Wie groß ist die Affinität, sich kreativ mit Text und Bild auseinanderzusetzen? Genau da kann die Beratung ansetzen und aus diesen Fragen und Antworten entwickelt sich das weitere Gespräch und Vorgehen.

Welchen Vorteil hat die Social Media-Sprechstunde für Unternehmen?

Ising: Es ist eine Stunde lang eine kostenlose Beratung. Sie bekommen Antworten auf Ihre eigenen Fragestellungen, ein Feedback, wir sind Ihr Sparringspartner.

Michna: Ich kann mir einen Rat holen und mich ein bisschen verorten lassen, wie ich strategisch dastehe. Und das geschieht in einem neutralen Umfeld, einer ganz offenen und fairen Beurteilung der Lage und einer klaren Handlungsempfehlung.

Digitale Kommunikation, Social Media und Online Marketing – Schlagworte, die gerade in dieser Zeit der Kontaktbeschränkungen, Geschäftsschließungen und Abstandsregeln viele Unternehmen beschäftigen und Fragen aufwerfen. Da die Nachfrage nach professioneller Beratung dazu steigt, bietet die Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld in Zusammenarbeit mit dem Innovationsnetzwerk InnoZent OWL e.V. und den Digital-Experten Thorsten Ising (48) und Frank Michna (56) das erprobtes Konzept des Social-Media-Sprechtages für alle Unternehmen in Ostwestfalen an. In der kostenfreien Beratung können Unternehmen in jeweils einer Stunde ihre individuelle Situation von den Beratern analysieren lassen, über strategische Fragen sprechen, sich mit Risiken auseinandersetzen oder vorhandene Kanäle auf den Prüfstein stellen. Der erste Sprechtag findet statt am Donnerstag, 25. März. Termine können für die Zeit zwischen von 9 und 16 Uhr vereinbart werden. Mehr Infos bei Marco Rieso, IHK, E-Mail: m.rieso@ostwestfalen.ihk.de.

Bild: Bieten für die IHK das Beratungsangebot „Social Media Sprechtag“ an Die Digital-Experten Frank Michna (links) und Thorsten Ising. Foto: Malte Klauck, Hamburg

Tilo Sommer, IHK

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