Nach dem BAG-Urteil: Wie umgehen mit den Überstunden von Teilzeitbeschäftigten?

Das BAG hat eine tarifvertragliche Regelung zu Überstundenzuschlägen für Teilzeitbeschäftigte gekippt, die viele Arbeitgeber bislang für rechtmäßig hielten. Und nun? Maximilian Schunder sieht die Gefahr neuer Ungleichbehandlungen.

Diskriminierung aufgrund von Teilzeit oder wegen des Geschlechts ist unzulässig. So weit, so klar. Wann aber eine Diskriminierung vorliegt, ist häufig keineswegs so eindeutig, wie man annehmen könnte. Am vergangenen Donnerstag hat das BAG klargestellt (Urteil vom 05.12.2024 – 8 AZR 370/20): Überstundenzuschläge dürfen nicht pauschal an die Arbeit in Vollzeit anknüpfen. Vielmehr sei eine individuelle Betrachtung geboten.

Geklagt hatte eine Frau, die als Teilzeitkraft in der Pflege zahlreiche Überstunden angesammelt hatte. Auf ihr Arbeitsverhältnis findet ein Tarifvertrag Anwendung. Nach diesem kann ein Anspruch auf Überstundenzuschlag nur bestehen, wenn die Anzahl geleisteter Arbeitsstunden die monatliche Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten überschreitet. Solche Klauseln sind in Tarifverträgen üblich, auch im öffentlichen Dienst.

Die Frau hatte mit ihrer Klage durch die Instanzen schließlich vor dem BAG Erfolg und bekam die begehrte Zeitgutschrift für einen Überstundenzuschlag sowie eine Entschädigung zugesprochen. Maßgeblich sind  § 4 Abs. 1 TzBfG, der das Schlechterstellen Teilzeitbeschäftigter verbietet, sowie §§ 1, 7 AGG, die unter anderem die Benachteiligung wegen des Geschlechts untersagen.

BAG stellt auf individuellen Arbeitszeitanteil ab

Das zugrundeliegende Problem: Betrachtet man die Bezahlung pro Stunde, verdient jede Gruppe das gleiche Entgelt. Ein Teilzeitbeschäftigter, dessen vertragliche Arbeitszeit 20 Stunden beträgt, erhält, wenn er 21 Stunden arbeitet, das Gleiche wie ein Vollzeitbeschäftigter für 21 Arbeitsstunden.

Mit Blick auf den Zuschlag für Überstunden verhält es sich anders: Ein Vollzeitbeschäftigter erfüllt die Voraussetzungen für den Überstundenzuschlag ab der ersten Überstunde. Ein Teilzeitbeschäftigter hingegen kommt – abhängig vom Anteil der Arbeitszeit -erst bei mehr geleisteten Überstunden in diesen Genuss, er erhält auch für Überstunde Nummer fünf keinen Zuschlag. Demnach liegt bei individueller Betrachtung eine Ungleichbehandlung vor.

Das ist nach Ansicht des BAG eine schlechtere Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 1 TzBfG sowie eine mittelbare Benachteiligung wegen des weiblichen Geschlechts im Sinne des AGG. Nach § 3 Abs. 2 AGG liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn eine dem Anschein nach neutrale Vorschrift tatsächlich wegen des Geschlechts benachteiligt. Das sei hier der Fall, weil für den Arbeitgeber, gegen den die Pflegekraft klagte, mehr Frauen in Teilzeit arbeiteten als Männer. Für diese aus der individuellen Betrachtung anhand des Arbeitszeitanteils hergeleitete Ungleichbehandlung konnte das BAG keinen sachlichen Grund erkennen.

Die individuelle Arbeitszeit als Lösung?

Einmal mehr stellt ein Urteil klar, was nicht geht. Die Anforderungen an diskriminierungsfreie Vergütungsstrukturen steigen. Regelmäßig ergehen Entscheidungen darüber, wie man Vergütungsstrukturen nicht gestaltet. Eine Lösung für die Praxis allerdings bietet das nicht.

Für Arbeitgeber stellt die gerechte Gestaltung von Entgelt, Entgelthöhe sowie ergänzenden oder variablen Bestandteilen eine Herausforderung dar. Ist es nun erforderlich, aber auch ausreichend, künftig auf die individuelle Arbeitszeit abzustellen?

Bei Betrachtung des gesamten Entgelts würde ein Teilzeitbeschäftigter dann mehr verdienen als der Vollzeitbeschäftigte: Vollzeitbeschäftigte verdienen bei einer 40-Stunden-Woche und einer tatsächlichen Arbeitszeit von 42 Arbeitsstunden für zwei Stunden Überstundenzuschlag.

Mit 50% Teilzeitbeschäftigte dagegen würden bei einer tatsächlichen Arbeitszeit von 42 Arbeitsstunden für 22 Stunden Überstundenzuschlag verdienen, ihr Entgelt wäre trotz identischer Arbeitszeit höher. Zwar wäre diese Lösung förderlich, um den Gender-Pay-Gap zu beheben, den das Statistische Bundesamt derzeit auf 18% beziffert. Sie wäre aber erneut eine Ungleichbehandlung.

Die nun für diskriminierend befundene Vergütungsstruktur basierte sogar auf einer Grundsatzentscheidung des EuGH aus den 90-er Jahren (EuGH, Urteile vom 15.12.1994 – Rs. C-399/92, C-409/92, C-425/92, C-34/93, C-50/93 u. C-78/93). Der EuGH hatte damals entschieden, dass eine Vergütungsstruktur gleichbehandle, wenn die Vergütung pro Stunde gleich ist. Das setzten Arbeitgeber um. Nun sind sie dennoch Risiken ausgesetzt. Die von Gerichten geebneten Maßstäbe werden zunehmend inkompatibler und lassen vermissen, ob der Perspektivwechsel ein geänderter Maßstab oder eine neue Hürde ist. Hoffentlich setzt der Gesetzgeber in Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie klare Maßstäbe, behält aber die Praxis im Blick.

Quelle: BAG, Urteil vom 05.12.2024 – 8 AZR 370/20
Maximilian Luca Schunder, Verlag C.H.BECK, 10. Dezember 2024

Maximilian Luca Schunder ist Rechtsanwalt bei Clifford Chance in Frankfurt.

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