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Prof. Dr. Nina Springer: „Medienlandschaft wird diverser“

Printmedien, Hörfunk und Fernsehen müssen sich der digitalen Transformation stellen. Wie kann dieser Wandel gelingen? Darüber spricht Prof. Dr. Nina Springer von der Universität Münster im Interview. Sie erläutert, wie sich Journalismus verändert hat und wie Leserinnen und Leser davon profitieren können. Und welche Bedeutung dies wiederum für die Verlage hat.

Das Interview führte Heiko Stoll

Frau Professorin Springer, wozu greifen Sie morgens zuerst: zur gedruckten Zeitung oder zum Smartphone für den News-Check?

Ich habe eine Nachrichten-App auf meinem Handy. Das erlaubt mir immer mal wieder einen kurzen Überblick zwischendurch, zum Beispiel wenn der Kaffee kocht. Ich habe aber auch ein Printabo einer Lokalzeitung in meiner Heimatstadt Aalen. Darüber freut sich meine Mutter, die zelebriert das Lesen am Frühstückstisch.

Deutschland gilt nach wie vor als Zeitungsland, der „Bundesverband der Digitalpublisher und Zeitungsverleger“ zählt 338 Zeitungen mit einer täglichen Auflage von knapp 13 Millionen Exemplaren. Kein Grund zur Klage, oder wie beurteilen Sie die Entwicklung der Zeitungslandschaft?

Die Situation der Tageszeitungen und Anzeigenblätter ist insgesamt schon recht herausfordernd. Das hat verschiedene Gründe. Marktplätze für Kleinanzeigen gibt es im Internet zur Genüge und auch Werbetreibende haben inzwischen eine sehr große Auswahl an Plattformen, auf denen sie annoncieren können. Der Verkauf an die Leserinnen und Leser hat daher an Bedeutung gewonnen, aber auch die Gewohnheiten der Menschen haben sich verändert. Die jungen Generationen nutzen oft verschiedene und auch andere Wege als die Zeitung, um an Informationen zu kommen. Ein Zeitungsabo muss man sich außerdem leisten können und wollen. Inzwischen ist das Lesen der Zeitung ja oft eine Wochenendbeschäftigung. Darauf haben die Verlage auch reagiert und bieten Wochenend-Abos an. Davon alleine werden sich Zeitungen aber auf Dauer nicht finanzieren können. Gut daher, dass die Nachfrage nach Digitalabos stetig zunimmt.

„Digital first“ heißt eine der Strategien, die Medienhäuser verfolgen. Wie bewerten Sie die Rolle von Digital-Angeboten von Verlagen und Rundfunkanstalten?

Digitalstrategien sind unausweichlich und können klug eingesetzt werden: Online-Journalismus erlaubt es, wichtige Nachrichten schnell zu verbreiten und ermöglicht zugleich auch lange Formate, weil der Platz ja tendenziell unbegrenzt ist. Hier setzt alleine die Aufmerksamkeit der Nutzerinnen und Nutzer ein Limit. Printprodukte oder das Fernsehen sind oft mit anderen Bedürfnissen verknüpft. Die Zeitung morgens zu lesen, ist ein Genuss. Dafür nimmt man sich Zeit. Das Fernsehprogramm wiederum gibt unserem Tag eine Struktur: Wenn ich weiß, dass um 20:00 Uhr die Tagesschau läuft, bin ich bis dahin fertig mit meinem Tagwerk oder hänge davor die Wäsche ab, um währenddessen zu bügeln. Ich merke, dass das bei mir selbst für die Angebote der Mediathek gilt, die ich ja auch zeitversetzt nutzen kann: Am Sonntagabend wird trotzdem um 19 Uhr gejoggt, damit ich gegen 20:15 Uhr fertig für den Tatort bin.

Die Medienlandschaft wird insgesamt diverser und als Konsumentin mit verschiedenen Bedürfnissen profitiere ich natürlich davon. Dass das Aufkommen des Internets am Verhältnis zwischen privatwirtschaftlichen und öffentlich-rechtlichen Formaten hierzulande ganz schön gerüttelt hat, ist für die Medienorganisationen natürlich eine Kehrseite gewesen. Vor allem die Printhäuser haben gelitten. Inzwischen ist meiner Wahrnehmung nach aber auch das Verständnis dafür gewachsen, dass im Internet keine Gratismentalität herrschen kann, weil Journalismus Arbeit ist und Geld kostet. Laut einer Studie sind zehn Euro eine Schallgrenze für Digital-Abos.

Welche Konkurrenz erwächst durch Social Media den „klassischen“ Medienanbietern? Wo stößt sie vielleicht an Grenzen, wie viel „Influencer“ ist glaubwürdig?

Klar, auch Influencerinnen und Influencer können journalismusartige Leistungen erbringen, also Informationen aufbereiten und vermitteln. Pauschal lässt sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit nicht beantworten, da es ja durchaus Persönlichkeiten auf sozialen Medien gibt, die genauso recherchieren und gesellschaftliche Themen kommentieren, wie Journalistinnen und Journalisten das tun. Schlussendlich geht es aus meiner Sicht um zwei Aspekte: zum einen darum, wie wir mit dem Angebot in sozialen Medien umgehen. Also welche Medienkompetenz wir haben, um glaubwürdige Inhalte zu erkennen und andere entsprechend nicht weiter zu beachten. Mediengeschichtlich betrachtet sind Influencerinnen und Influencer ja ein recht neues Phänomen, mit dem die Gesellschaft auch medienpädagogisch erst einmal umgehen muss. Und im Moment sind wir dabei, diese Kompetenzen besser auszubilden. Zum anderen finde ich die Frage nach der Konkurrenz auch nicht die relevanteste, vielmehr würde ich die Perspektive umdrehen und danach fragen, was sich Journalismus von Influencerinnen und Influencer abgucken kann, schließlich sind ja einige vor allem darin erfolgreich, junge Leute anzusprechen.

Welche Chancen und Risiken sehen Sie beim Einsatz von Chat-GPT im redaktionellen Alltag?

Einsatzmöglichkeiten gibt es viele: Automatisierte Textgenerierung kann im Journalismus vor allem da genutzt werden, wo strukturierte Daten vertextet werden. Klassischerweise gehört dazu das Wetter, der Verkehr, Aktienkurse oder Sportergebnisse. Werden solche Routine-Tätigkeiten automatisiert, können Journalistinnen und Journalisten mehr Zeit haben für andere, kreativere Tätigkeiten. Datenjournalistinnen und -journalisten können sich bei Chat-GPT Unterstützung beim Coden holen, oder ganz allgemein kann man sich bei der Nachrichtenübersicht helfen lassen. So hat Axel Springer vor Kurzem eine Zusammenarbeit mit Open AI verkündet, wodurch sich Nutzerinnen und Nutzer Zusammenfassungen von Inhalten, die aus Springer-Publikationen stammen, von Chat-GPT ausgeben lassen können.

Ein Risiko sehe ich dann, wenn der Mensch gänzlich aus journalistischer Textproduktion herausgenommen wird, also niemand einen prüfenden Blick auf Rechercheergebnisse oder Texte wirft. Eine weitere Leseschleife zur Qualitätskontrolle gab es aber schon immer im Journalismus, das wäre jetzt nichts Neues. Auch empfehle ich die Erstellung einer Leitlinie zum redaktionellen Umgang mit Künstlicher Intelligenz. Dazu würde für mich gehören, den Einsatz automatisierter Textproduktion für das Publikum transparent zu machen. Darüber hinaus müssen wir berücksichtigen, dass Menschen sich beruflich durch Künstliche Intelligenz bedroht fühlen. Das sind reale Ängste und Sorgen, die ernst genommen werden müssen.

In der Branche wird über „User Needs“-Inhalte, also nutzerorientierte Inhalte, diskutiert – welchen Vorteil haben die Leserinnen und Leser davon, welchen die Verlage?

Verlage agieren auf zwei Märkten: Dem Werbemarkt und dem Markt der Leserinnen und Leser. Letzterer hat für Verlage in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen, daher müssen Verlage sich dafür interessieren, was das Publikum von ihrem Produkt erwartet. Im Großen und Ganzen ist das auch gut, weil Nachrichten immer einen Gebrauchswert für das Individuum und die Gesellschaft haben müssen, sonst macht sich der Journalismus ja überflüssig. Das hat für mich aber auch Grenzen. Ein fiktives Beispiel: Was machen wir, wenn neben all der fundierten Politikberichterstattung eines Mediums die Nachricht über die Hochzeit von Celebrity A und Celebrity B am meisten gelesen oder geklickt wird? Passen Journalistinnen und Journalisten sich über die Dauer dann immer mehr an diese Präferenzen an? Ich denke, insgeheim sehen wir alle ein, dass Journalistinnen und Journalisten auch eine öffentliche Aufgabe erfüllen müssen. Die Mischung macht‘s.

Wie werden wir in den kommenden zehn Jahren Nachrichten „konsumieren“ – und vor welche Veränderungen stellt dies Verlagshäuser und Medienrezipienten?

Ich gehe davon aus, dass E-Paper und Apps die gedruckte Zeitung auf Dauer ersetzen werden, aber ein Edel-Segment bestehen bleiben wird. Ich denke auch, dass der Journalismus sich ein Stück verändern wird, Ansätze sehen wir zum Beispiel im konstruktiven oder positiven Journalismus. Die Nachrichtenlage kann bedrücken und bedrohlich wirken, daher sehen manche es angezeigt, ihre mentale Gesundheit durch eine Dosierung der Berichterstattung zu schützen. Zum Beispiel vermieden Menschen irgendwann bewusst die Berichterstattung zu Corona, als das Pandemiegeschehen schon recht weit fortgeschritten war. Positiver Journalismus versucht hier auszubalancieren und Themen in das Berichterstattungsportfolio mit aufzunehmen, die gut laufen, oder wo sich Dinge zum Positiven verändert haben. Dass Menschen hellhöriger in Bezug auf ihre mentale Gesundheit geworden sind, damit wird auch der Journalismus umgehen lernen müssen.

ZUR PERSON

Prof. Dr. Nina Springer forscht und lehrt an der Universität Münster. Zu ihren Themen zählen Journalismusforschung, digitale- und politische Kommunikation. Studiert hat sie Journalistik mit dem Hauptfach Kommunikationswissenschaft und den Nebenfächern Politikwissenschaft, Soziologie und Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Neben Lehrtätigkeiten in München, Stockholm und Göteborg war Springer unter anderem als Gastdozentin an Universitäten in Helsinki, Singapur und Jerusalem tätig. Seit 2021 ist sie Professorin für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Journalismusforschung.

Mehr zum Thema im IHK-Magazin

Das Interview mit Prof. Dr. Nina Springer ist erschienen in der April-Ausgabe 2024 unseres IHK-Magazins „Ostwestfälische Wirtschaft“. Hier gelangen Sie zur digitalen Ausgabe.

Foto: Nadine Daum

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